Wie wird Glück gemessen?
In Umfragen behauptet die Mehrheit der Befragten regelmäßig, sehr glücklich oder glücklich zu sein. Die durchschnittliche Lebenszufriedenheit der Deutschen wird auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) – 10 (sehr zufrieden) mit 7 angegeben. Auf der anderen Seite werden Depressionen zur Volkskrankheit erklärt, jeder neunte Arbeitnehmer ist von Burnout betroffen, jede zweite Ehe wird geschieden und Unzufriedenheit am Arbeitsplatz ist ein Massenphänomen. Wie passen diese unterschiedlichen Ergebnisse zusammen?
Untersuchungen zur Lebenszufriedenheit basieren häufig nur auf einer einzigen Frage, beispielsweise: „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben insgesamt“? Das Problem dabei: Wenn Versuchspersonen bewerten sollen, wie glücklich sie sind, berechnen sie nicht die Subtraktion von negativen und positiven Momenten in ihrem Leben sondern sie machen eine Schätzung. Und diese Schätzung wird durch zahlreiche Faktoren verzerrt. Hier eine kleine Auswahl:
Faktoren, die die Einschätzung der Lebenszufriedenheit verzerren können
Die aktuelle Stimmung der Befragungsperson hat einen Einfluss darauf, wie zufrieden sie sich bei einer Umfrage einschätzt: Wir erinnern bevorzugt Dinge, die mit unserer gegenwärtigen Stimmung assoziiert sind. Sind wir gerade glücklich, erinnern wir uns auch eher an glückliche Ereignisse. Geht es uns nicht so gut, erinnern wir vorrangig negatives.
Auch die Bedingungen der konkreten Situation machen einen Unterschied: Manch ein Befragter war zum Zeitpunkt der Befragung vielleicht krank, mit einer negativen Nachricht konfrontiert oder hatte ein Todesfall in der Familie zu verzeichnen. Diese Person wird sich deutlich weniger glücklich einschätzen, als jemand, der kurz vor der Befragung befördert wurde oder Sex hatte.
Selbst die Jahreszeiten und das aktuelle Wetter haben einen Einfluss auf unsere Schätzung. So erzielen Umfragen im Frühling oder an sonnigen Tagen meist höhere Werte als Umfragen im Winter oder an regnerischen, bedeckteren Tagen.
Ein weiteres absolut zentrales Kriterium bei der Einschätzung unserer Lebenszufriedenheit ist der jeweilige Vergleichsstandard, den wir anlegen: Bittet man Versuchspersonen an ein positives Erlebnis in ihrer Vergangenheit zu denken, schätzen sie sich hernach weniger glücklich ein, als wenn man sie auffordert, an ein negatives Erlebnis zu denken. Ebenso schätzen sich Personen glücklicher ein, wenn eine Person anwesend ist, der es schlechter geht als ihnen.
Grundsätzlich sind persönliche Dispositionen der Befragten, z.B. ob jemand eher dazu neigt, zu jammern oder optimistisch zu sein, nicht zu unterschätzen; ebenso wenig wie gesellschaftliche Leitbilder. In den USA gehört es beispielsweise zum guten Ton, glücklich zu sein bzw. so zu erscheinen.
Selbst die Stellung der Frage im Interview oder verschiedene Mechanismen des Selbstschutzes (z.B. Selbstaufwertung) können bei der Frage nach der Lebenszufriedenheit eine entscheidende Rolle spielen.
Wie können wir Glück besser messen?
Es gibt also eine ganze Vielzahl an Faktoren, die die Einschätzung darüber, wie glücklich wir gerade sind, erheblich beeinflussen können. Das wirft die Frage auf: Können wir überhaupt bedeutende Antworten zu unserem Wohlbefinden abgeben?
Natürlich ist es schwer, so etwas wie Glück oder Lebenszufriedenheit objektiv zu messen. Viele Forscher glauben deshalb auch, dass uns der Ansatz des subjektiven Wohlbefindens dabei nicht weiter bringt. Wenn wir sehen, wie stark Forschungsergebnisse bereits durch die aktuelle Tagesstimmung, den Vergleichsstandard oder die persönlichen Eigenheiten einer Person beeinflusst werden, kann die subjektive Meinung allein nicht ausreichen um Lebenszufriedenheit zu erfassen. Sie plädieren deshalb dafür, Wohlbefinden anhand einiger objektiver Kriterien zu erfassen, die im Vorfeld genau festgelegt werden. Der Vorteil daran: Objektive Kriterien, beispielsweise das Vorhandensein positiver Beziehungen oder persönlicher Ressourcen, sind leichter messbar.
Aber auch abseits davon lässt sich einiges tun, um die Erhebung der Lebenszufriedenheit adäquater zu gestalten. Dazu ist es erforderlich, dass wir Glück auf vielen verschiedenen Ebenen erfassen. Eine Frage allein reicht nicht aus. Wir können ein differenzierteres Bild vom Wohlbefindenszustand einer Person erhalten, wenn wir beispielsweise die Zufriedenheit in verschiedenen Bereichen abfragen. So können wir zufrieden mit unserem Beruf sein, aber weniger zufrieden mit unserer Partnerschaft. Auch Messwiederholungen oder die Verwendung verschiedener methodischer Zugänge (Selbsteinschätzung, Fremdeinschätzung, objektive Marker) können die Erhebung der Lebenszufriedenheit bedeutend verbessern.
Und was lernen wir daraus?
Die Zufriedenheit einer Person, einer Stadt oder sogar einer ganzen Nation zu erfassen ist keine leichte Aufgabe. Glück ist sicherlich differenzierter, als das man es mit einer Frage erheben könnte. Eine halbwegs adäquate Messung erreichen wir, wenn wir das Wohlbefinden einer Person auf möglichst vielen Ebenen, mit hinreichend vielen Fragen, durch Anwendung unterschiedlicher Methoden zu verschiedenen Messzeitpunkten erfassen. Aber auch dann noch ist Vorsicht geboten. Bevor wir die Ergebnisse nationaler und internationaler Glücksrankings interpretieren, sollten wir uns die oben aufgeführte Liste in Erinnerung rufen und im Hinterkopf behalten, welche Faktoren zu einer Verzerrung der Einschätzungen führen können.
Faktoren entlehnt aus:
Bellebaum, A. (2002). Glücksforschung: Eine Bestandsaufnahme. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH.*
Mayring, P. (1991). Psychologie des Glücks. Stuttgart: Kohlhammer.*
Nettle, D. (2005). Happiness: The Science Behind Your Smile. Oxford: Oxford University Press.*
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Pingback:Wer ist am glücklichsten? | Glücksdetektiv
Posted at 14:10h, 17 Dezember[…] zur Lebenszufriedenheit häufig nur auf einer einzigen Frage basieren und zahlreichen Schätzfehlern und Verzerrungen unterliegen können. Gerade im Hinblick auf kulturelle Vergleiche müssen die Ergebnisse sehr […]